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08.04.2021
Lösung

SAP S/4HANA® Migration – Eine sorgfältige Vorbereitungsphase als Schlüssel zum Erfolg

Ein Auto, das eine bestimmte Nutzungszeit überschritten hat, wird im Unterhalt unwirtschaftlich. Die Garantiezeit läuft aus, Kosten für Reparaturen steigen, der Wiederverkaufswert sinkt. Im Vergleich zu neueren Modellen fängt es an, hinterherzuhinken: elektronische Fahrassistenzsysteme sind eine Fehlanzeige, die USB-Schnittstelle, um das Handy zu laden, existiert nicht, ganz zu schweigen von beheizten Sitzen oder Außenspiegeln. Wenn wir also nicht gerade von einem Oldtimer sprechen, ist eine Neuanschaffung nahezu unausweichlich. Ist ja schön und gut, aber was hat das mit SAP® zu tun?

Die zwei Phasen der S/4HANA® Migration


Für Nutzer von SAP® ECC 6.0 Systemen ist der Umstieg auf S/4HANA® genauso unausweichlich. Neben der Tatsache, dass die Wartung in absehbarer Zeit ausläuft, bietet S/4HANA® mit Fiori® auch deutliche Verbesserungen für die Bedienung der Anwendungen. Viele scheuen jedoch die aufwändige Migration. Wie umfangreich ist die Umstellung und wird das System in S/4HANA® immer noch genauso reibungslos funktionieren? Das sind Fragen, die Unternehmen gern auf die lange Bank schieben. Unbegründet in diesem Fall. Denn eine gute Vorbereitung kann sowohl eine Auskunft über den Umfang der Migrationsarbeiten geben als auch exakt feststellen, in welchen Bereichen es Anpassungen geben muss, um eine Kompatibilität sicherzustellen – und das alles bereits vor dem eigentlichen Migrationsprojekt. Wir unterscheiden deshalb zwischen einer Vorbereitungs- und einer Realisierungsphase. Die Vorbereitung kann dabei vollkommen losgelöst von der eigentlichen, späteren Umstellung erfolgen. Eine gute Vorbereitung besteht zudem nicht nur aus einer reinen Analyse der Ist-Situation, auch die Anpassung von Datenstrukturen und Workflows kann bereits im laufenden ECC 6.0 System vorgenommen werden. Auf diese Weise können Migrationsarbeiten und Systemunterbrechungen deutlich verkürzt werden. Möglich wird dies durch spezielle Tools sowie eine kontinuierliche und systematische Unterstützung durch SAP® Beratungsexperten.

Vorbereitungsphasen zur S/4HANA Migration

Abbildung 1: Eine gute und intensive Vorbereitungsphase ist ein wichtiger Grundstein für eine reibungslose Migration. Hierfür baut SAP ihre Werkzeuge sukzessive aus.

SAP Readiness Check – Überblick, Handlungsbedarf, Potenziale


Der erste wichtige Schritt im Rahmen der Voranalyse besteht im SAP Readiness Check. Dabei handelt es sich um eine externe Applikation der SAP, welche über den Webbrowser gestartet wird. Gefüttert wird sie mit Extrakt-Dateien der Nutzungs- und Konfigurationsdaten, die durch eine Aufzeichnung aus dem produktiven System des Kunden gewonnen wurde. Der Readiness Check liefert anschließend verschiedene Kennzahlen und Analysen, mit Hilfe derer die Kompatibilität des Systems und notwendige vorbereitende Schritte abgelesen werden können. Ein anschauliches Dashboard visualisiert übersichtlich die Ergebnisse. Und welche Informationen liefert der SAP Readiness Check nun konkret? Zunächst einmal erhält der Kunde einen Überblick darüber, welche Funktionalitäten in seinem Unternehmen überhaupt im Einsatz sind und inwiefern diese kompatibel mit S/4HANA® sind. Gemeinsam können Berater und Kunde dann in die entsprechende Detailansicht abspringen und bewerten, inwiefern tatsächlich ein entsprechender Anpassungsbedarf besteht. Verkürzt sich beispielsweise das Feld für Materialnummern in S/4HANA®, der Kunde nutzt jedoch keine langen Materialnummern, so ist diese Änderung für ihn irrelevant. Diese Bewertung fließt in die Auswertung des SAP Readiness Checks ein. Weiterhin gibt der Readiness Check Aufschluss darüber, welche Add-ons im System aktuell installiert sind. Dabei kann es sich beispielsweise um eine OCR Software für den Rechnungseingangsworkflow handeln. Das Tool analysiert selbstständig die Kompatibilität mit S/4HANA®. Ein wichtiger Teil der Prüfung ist der Abgleich mit den Vereinfachungselementen für S/4HANA®. Es existieren eine Reihe von Simplifikationen und Veränderungen, die im Vergleich zu SAP® ECC 6.0 entstanden sind und fortlaufend entwickelt werden, die eine Anpassung der bestehenden Datenstrukturen notwendig machen.


Interessant ist darüber hinaus eine Übersicht über die für den Kunden nützlichen SAP Fiori® Apps. Basierend auf dem bisherigen Nutzungsverhalten empfiehlt der Readiness Check genau die Fiori® Anwendungen, die für ihn hilfreich und sinnvoll sind. Auch eine Einschätzung darüber, welche Geschäftsprozesse gegebenenfalls Verbesserungspotenzial bergen, zählt zum Funktionsumfang. Als Ergebnis dieser Voranalyse kann dem Kunden eine Einschätzung darüber gegeben werden, welche Lizensierungen benötigt werden und wie das Sizing für die benötigte Hardware des Systems ausfällt. Zudem können gemeinsam mit dem Kunden Vorüberlegungen darüber angestellt werden, ob eine Greenfield oder Brownfield Migration empfehlenswert ist. Insgesamt erhält der Kunde mit dem SAP Readiness Check eine Querschnitt-Sicht darüber, welche Vorteile ihm die Migration bietet und wie umfangreich sie ausfallen wird. In der Regel wird der SAP Readiness Check mehrfach durchgeführt. Das ist durchaus sinnvoll, da mit jedem neuen S/4HANA® Release neue Vereinfachungselemente bereitgestellt werden und Anpassungen notwendig werden können und auch das bestehende Alt-System kontinuierlichen Veränderungen in der Nutzung und Ausprägung unterliegt.

Übersichtliches Dashboard im browserbasierten SAP Readiness Check

Abbildung 2: Ein übersichtliches Dashboard gibt im browserbasierten SAP Readiness Check Auskunft über notwendige Anpassungen.

Simplification Item Check zu Vereinfachungselementen in S/4HANA

Abbildung 3: Der Simplification Item Check gibt Auskunft darüber, ob die Vereinfachungselemente aus S/4HANA® Relevanz für die Umstellung im konkreten SAP® ECC 6.0 Kundensystem haben.

Simplification Item Check – Handlungsbedarfe direkt im System exakt feststellen


Nach der Voranalyse durch den externen SAP Readiness Check geht es nun weiter mit der im SAP® Kundensystem stattfindenden Detailanalyse. Ein wichtiges Tool ist in diesem Zusammenhang der Simplification Item Check (kurz: SI Check), der wie schon im Readiness Check die Vereinfachungselemente für S/4HANA® in Hinblick auf die Kompatibilität mit dem bestehenden System prüft. Der SI Check wird direkt im produktiven System / Mandanten durchgeführt. Die benötigten Hinweise werden zuvor auf dem Testsystem geprüft. Die Ergebnisliste des Prüflaufs gibt eine detaillierte Auskunft darüber, inwiefern das SAP® System des Kunden von den Vereinfachungen betroffen ist. So unterscheidet das Tool also zwischen drei Fällen:

  • Die Vereinfachung ist irrelevant, weil sie keine vom Kunden genutzte Anwendung/ Funktionalität betrifft.
  • Die Vereinfachung ist relevant, aber bedarf keiner weiteren Aufmerksamkeit, da sich aus ihr kein Kompatibilitätsproblem ergibt (z. B. Längenänderung der Materialnummern, wenn der Kunde keinen langen Materialnummern verwendet).
  • Die Vereinfachung ist relevant und es besteht ein Anpassungsbedarf (z. B. wenn der Kunde die Verwaltung von Kreditoren und Debitoren auf die Geschäftspartnerverwaltung umstellen muss).

Handlungsbedarfe, die hier identifiziert werden, können häufig schon im laufenden SAP® System vorgenommen werden, so z. B. die Umstellung auf den Geschäftspartneransatz. Solche vorbereitenden Tätigkeiten können vollkommen entkoppelt bereits vor der eigentlichen Migration erfolgen. Diese wird dadurch deutlich verschlankt und Systemunterbrechungen auf ein Minimum reduziert.


Menügeführte Werkzeuge für Vorbereitungsarbeiten direkt im System


Seit circa ein bis zwei Jahren unterstützt SAP diese Vorgehensweise massiver und baut in diesem Zusammenhang auch das Angebot an unterstützenden Tools sukzessive aus. So existiert beispielsweise speziell für den Umbau der Datenstrukturen auf eine Geschäftspartnerverwaltung das Customer Vendor Integration Cockpit (kurz: CVI Cockpit). Dabei handelt es sich um eine menügeführte Anwendung, anhand derer man mit Hilfe von Klickboxen Schritt für Schritt alle Aktivitäten durchführen kann, die für eine konsistente Abbildung des Geschäftspartneransatzes in SAP® nötig sind – und das alles im laufenden ECC 6.0 System. Analog dazu existiert seit einiger Zeit ein Auswertungsprogramm zur Abstimmung der FI Belege und seit Kurzem auch ein entsprechendes Tool für die Abstimmung der Anlagenbuchhaltung. Sukzessive ist zukünftig mit einem Ausbau solcher Vorbereitungsprogramme für die Umsetzungsarbeiten tendenziell komplexer Themen zu rechnen.


Custom Code Migration Check – Individuelle Programmierungen auf Kompatibilität prüfen


Ein letzter wichtiger Schritt in der Phase der Vorbereitung ist die Prüfung kundenindividueller Programme. Mit jedem neuen S/4HANA® Release werden Veränderungen an der Programmierung vorgenommen, z. B. durch Vereinfachungen an den Tabellenstrukturen oder Vereinheitlichungen der Programmiertechniken. So kann es passieren, dass kundenindividuelle Programme, die auf bestimmte Bausteine des SAP® Systems zurückgreifen, nach der Migration nicht mehr funktionieren würden, weil an ihnen Änderungen vorgenommen wurden. Um dies zu überprüfen, existiert der ATC Custom Code Migration Check. Auch dieser basiert auf dem Ansatz, zunächst über ca. 15 Monate vor dem eigentlichen Umstellungstermin eine mitlaufende Analyse des produktiven Systems durchzuführen, um herauszufinden, welche kundenspezifischen Programme überhaupt in Betrieb sind. Hier werden auch ungenutzte Anwendungen identifiziert, die mit der Migration gegebenenfalls gelöscht werden können, z. B. veraltete SAP® RE Classic Programmierungen. Anschließend überprüft das Tool die jeweiligen Anwendungen auf Kompatibilität. Die Prüfung kann ggfs. auch remote über ein aktuelleres SAP® System (z. B. für den Solution Manager) gegen das noch nicht auf dem benötigten Releasestand des SAP NetWeaver® befindlichen Produktivsystems erfolgen.

Informationstechnologie und Immobilien (IT&I) Ausgabe Nr. 33 / April 2022

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Zusammenfassung


Insgesamt konnte über die letzten Jahre festgestellt werden, dass SAP ihre Werkzeuge zur Unterstützung der Vorbereitungsmaßnahmen auf eine Migration deutlich intensiviert hat. Warum ist es sinnvoll, den Fokus auf eine systematische und sorgfältige Vorbereitung zu legen? Um den tatsächlichen Anpassungsbedarf und das Verbesserungspotenzial der Migration feststellen zu können, ist eine langfristig angelegte Analyse des SAP® Systems sinnvoll, um so einen Überblick über den gesamten Nutzungsumfang zu erlangen. Zudem lassen sich viele der notwendigen Migrationsarbeiten bereits im laufenden ECC 6.0 System – vollständig entkoppelt von der eigentlichen Migration – durchführen. Auf diese Weise wird die spätere Umstellung schlanker und übersichtlicher. Es heißt nicht umsonst: Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete!

Zur Person:

Magnus Temme

Magnus Temme

Senior Expert

PROMOS consult

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