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27.03.2017
Lösung

Paradigmenwechsel in der Heizkostenabrechnung

Der „Paradigmenwechsel in der Heizkostenabrechnung“ – nur eine gewagte These oder eine epochale Wende, die sich in der Branche ankündigt? Dieser Bericht geht den aktuellen Entwicklungen auf den Grund.
IT&I Magazin Nr. 24 - "Paradigmenwechsel in der Heizkostenabrechnung"

Wissenschaft und Abrechnung


In der Wissenschaft bezeichnet ein Paradigma ein „einigermaßen zusammenhängendes, von vielen Wissenschaftlern geteiltes Bündel aus theoretischen Leitsätzen, Fragestellungen und Methoden, das längere historische Perioden in der Entwicklung einer Wissenschaft überdauert.“1 Die Ersetzung eines Paradigmas durch ein anderes stellt somit einen Paradigmenwechsel dar. Nun wäre es wahrscheinlich zu hochtrabend, im Bereich der verbrauchsabhängigen Abrechnung von Heiz- und Wasserkosten von wissenschaftlichen Leitsätzen zu sprechen, die historische Perioden überdauert haben, sodass wir diese eher durch die Begriffe Methode oder Prozessablauf ersetzen. Unter dem Paradigmenwechsel in der Heizkostenabrechnung verstehen wir also die Veränderung grundlegender Vorgehensweisen in den Prozessabläufen der verbrauchsabhängigen Nebenkostenabrechnung, oder – exakter formuliert – der Abrechnung verbrauchsabhängiger, auf Basis gewonnener Verbrauchsmesswerte errechneter Nebenkosten.  


Das Ableseparadigma


Obwohl es in der verbrauchsabhängigen Nebenkostenabrechnung speziell im Bereich der eingesetzten Messtechnik und der Messwertgewinnung deutliche Weiterentwicklungen gegeben hat, läuft die jährliche Gewinnung der Verbrauchswerte in der gleichen Form wie im letzten Jahrhundert ab. Dieser Prozess wird nach wie vor als „Hauptablesung“ bezeichnet.


Am Ende der Abrechnungsperiode werden die Messwerte von Heizkostenverteilern, Wärmezählern und Wasseruhren von Wärmemessdiensten ermittelt. Bei den eingesetzten Messgeräten haben die per Funk ablesbaren Geräte mittlerweile einen hohen Anteil am Gesamtbestand. Diese Geräte werden, ohne dass die Wohnungen betreten werden müssen, per Funk abgelesen. Dies stellt für den Mieter, der zur Ablesung nicht mehr anwesend sein muss, auf jeden Fall einen Vorteil dar, löst aber nicht das Problem, dass ein Geräteausfall oder eine Gerätestörung viel zu spät festgestellt wird und dem Immobilienverwalter dadurch jede Handlungsoption genommen wird.


Hier deutet sich der erste Paradigmenwechsel an.

Immer mehr Immobilienverwalter setzen auf die ständige Funkablesung, bei der die Messwerte kontinuierlich unterjährig gewonnen und analysiert werden. Der wesentliche Effekt dieser Analysen liegt darin, dass Geräteausfälle oder -störungen unmittelbar erkannt und beseitigt werden, sodass Schätzungen einzelner Messgeräte oder, im Falle des Ausfalls von Gateways oder anderer Funkkomponenten, kompletter Liegenschaften vermieden oder doch zumindest auf ein Minimum reduziert werden können.


Erfreulicherweise gibt es gemäß unserer Kenntnis zumindest einen großen Wärmemessdienst, der auf die meistens übliche Abschottung („Mit den Daten kann die Wohnungswirtschaft ja doch nichts anfangen“) verzichtet und einem Kunden halbmonatlich den kompletten Ablesedatenbestand zur Verfügung stellt. Der Kunde hat somit die Möglichkeit, Auswertungen auf Basis von Auswertungsebenen seines eigenen ERP-Systems zu erstellen, die dem System des Wärmemessdienstes nicht bekannt sind.  


Das Geräteparadigma


Bei den in der Regel eingesetzten Messgeräten handelt es sich um proprietäre Messgeräte, die mit Blick auf die komplette Verarbeitung der Messwerte bis hin zur Abrechnung nur von dem jeweiligen Wärmemessdienst verarbeitet werden können. Ein Wechsel des Abrechnungsdienstleisters ist somit vor Ablauf der vertraglichen Nutzungsdauer der Geräte von zehn Jahren bei Heizkostenverteilern und fünf Jahren bei Wasseruhren nicht möglich, bzw. mit großen Hürden belegt. Für die Gerätekommunikation fehlen jegliche offenen Standards, wodurch der Immobilienverwalter keine freie Wahl bei der Entscheidung für einen Dienstleister hat.


Auch im Bereich der Messtechnik gibt es jedoch neue Entwicklungen, die zu einem Paradigmenwechsel führen. Neue und zu handelsüblichen Preisen verfügbare Messgeräte, wie zum Beispiel Heizkostenverteiler, Wasseruhren, Wärmezähler und bald auch Rauchwarnmelder, sowie deren Kommunikation zu Datensammlern basieren auf dem Standard OMS (siehe www.oms- group.org).  


Der OMS-Standard (Open Metering System) stellt europaweit die einzige Systemdefinition dar, die die Verbrauchswertgewinnung für alle Medien wie Strom, Gas, Wärme und Wasser bis hin zum Submetering in ein System integriert. Unter Submetering wird hierbei die Gewinnung von Verbrauchswerten für die Erstellung der Abrechnung von Heiz- und Wasserkosten verstanden. Verbrauchswerte von Geräten, die über den OMS-Standard kommunizieren, können somit in der Abrechnung von allen Unternehmen verarbeitet werden, die sich diesem Standard geöffnet haben.

Informationstechnologie und Immobilien (IT&I) Ausgabe Nr. 33 / April 2022

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Anbieter und Produktportfolio


Diese beiden Paradigmenwechsel, zum einen die konsequente Zuwendung der Immobilienverwalter zur kontinuierlichen Funkfernauslesung der Messgeräte und zum anderen die Verfügbarkeit und Verbreitung offener Gerätestandards, werden zu deutlichen Veränderungen und Regulierungen bei Anbietern und Produktportfolios führen.  


Durch die Nutzung des OMS-Standards können die Beschaffung und die Installation von Geräten, das Gerätemanagement, der Betrieb der Datengateways und Abrechnung mit verschiedenen Partnern durchgeführt werden. Der daraus resultierende Wettbewerb eröffnet dem Immobilienverwalter große Vorteile bei Beschaffung und Vertragsgestaltung.


In vielen Gebäuden entstehen bereits Infrastrukturen für die Gerätefernauslesung aller Medien (Strom, Gas, Wasser, Wärme) über einen identischen Kommunikationsweg. Die hierüber gewonnenen Daten sind dann nicht nur die Basis für die Abrechnung der primären Energie- und Wasserkosten (Metering) des Gebäudes, sondern auch für die Erstellung der verbrauchsabhängigen Abrechnung für die einzelnen Mieter (Submetering).  


Speziell im Bereich Submetering gibt es bereits erste Bestrebungen, den Abrechnungsprozess neu zu gestalten, wobei eine weitgehend automatisierte Abrechnung dabei im Vordergrund steht. Durch die ständige Verfügbarkeit der gewonnenen Verbrauchsmesswerte ist eine kontinuierliche Plausibilisierung und unmittelbare Reaktion bei Störfällen möglich, die dann in den meisten Abrechnungsfällen bei Verfügbarkeit der jährlichen Mieter-/Liegenschaftsdaten und der abrechnungsrelevanten Kosten eine Cloud-basierte „Abrechnung per Knopfdruck“ ermöglicht. Diese Art der Abrechnung kann dabei vom Immobilienverwalter, sofern dies in seinem strategischen Interesse steht, in eigener Regie vorgenommen werden. Oder er bedient sich eines externen Dienstleisters, der dies für ihn übernimmt und darüber hinaus zusätzlich für die Integration der Abrechnungsergebnisse in sein ERP-System sorgt. Grundsätzlich werden in Zukunft solche Dienstleister gefragt sein, die dem Immobilienverwalter eine individuelle Prozessgestaltung ermöglichen und ihn da unterstützen, wo er es für erforderlich hält. Die Abbildungen 1 und 2 zeigen schematisch zwei Prozessalternativen.

Externe Abrechnung durch Messdienstleister
Abbildung 1: Externe Abrechnung durch Messdienstleister.
Selbstabrechnung mit Geräteservice durch Messdienstleister
Abbildung 2: Selbstabrechnung mit Geräteservice durch Messdienstleister.

Die PROMOS.FS Facility Services GmbH, die Dienstleistungstochter in der PROMOS Gruppe, hat bereits seit 2003 Erfahrung in der Abrechnungsintegration auf Basis der Standardformate der Arbeitsgemeinschaft Heiz- und Wasserkostenverteilung e.V. (Bonn) und wird ihren Kunden in 2017 die Möglichkeit des oben beschriebenen Abrechnungsverfahrens anbieten.


Anders als heute werden Immobilienverwalter auf Grund der Standardisierung der Messtechnik in Zukunft häufiger ihre Geschäftsbeziehungen so gestalten, dass sie ihre(n) Abrechnungspartner bei Bedarf wechseln, oder vielleicht auch nach Abschluss einer Lernphase Teile der Abrechnung selber übernehmen können.  


Wie es andere Branchen vorgemacht haben, führen offene Standards und Schnittstellen zu einem Anwachsen aber auch zu einer Regulierung der Anbieter und damit auch zu einer Veränderung des Marktes. In dem Maße, in dem Immobilienverwalter Wert auf Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Prozess- und Kostentransparenz legen, entstehen neue Abrechnungsmethoden und -dienstleister, deren Ziel es ist, die Kundenbindung eher durch Flexibilität und Kosten-/Prozesseffizienz als durch Gerätelaufzeiten zu erreichen.  


Für Immobilienverwalter, speziell aber für Verwalter von Eigentumsanlagen, eröffnen sich neue Wertschöpfungsketten, indem sie zum Beispiel die Abrechnung auf eigene Rechnung durchführen, sich aber beim Gerätemanagement darauf spezialisierter Unternehmen bedienen.  


Beratungs- und Softwarekompetenz


Im gleichen Umfang, wie bei Immobilienverwaltern das Interesse wächst, im Bereich der Nebenkostenabrechnung neue Wege zu gehen, sind die ERP-Anbieter gefordert, dies durch Beratungsangebote und Softwarelösungen zu unterstützen. Die PROMOS Gruppe verfügt über Beratungskompetenz in allen Fragen der verbrauchsabhängigen Abrechnung, sei es, dass es um die Auswahl des passenden Abrechnungspartners oder um die Begleitung auf dem Weg zur Selbstabrechnung geht. Im Bereich der Softwarelösungen steht in der PROMOS Gruppe die Offenheit an erster Stelle. PROMOS.GT bietet beispielsweise Softwarekomponenten für die Abrechnungsintegration nach SAP® und die Erstellung der modularen Betriebskostenabrechnungsschreiben an. Easysquare workflow ermöglicht die einfache und intelligente Steuerung der Prozesse in SAP®. Das easysquare Handwerkerportal bietet bei Bedarf die effiziente Abwicklung der Installations- und Wartungsprozesse der Messgeräte.


Ausblick


Was wird darüber hinaus die Zukunft bringen? Unter dem Stichwort „Internet of Things“ (IoT), dem Zusammenspiel IP-basierter Geräte, entwickeln sich Massenmärkte mit preisgünstigen Bausteinen. Die für Zähler erforderlichen Grundlagentechnologien, wie zum Beispiel WLAN- und Bluetooth-Standards, die für Anwendungen mit Langzeitbatterien geeignet sind, die so genannten „Low-Power Technologien“, sind in Entwicklung und werden die kommenden Messgerätegenerationen beeinflussen und darüber hinaus auch neue technische Möglichkeiten eröffnen.

  1. Asendorpf, Jens (2009): Persönlichkeitspsychologie. Springer Verlag. Heidelberg.
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